Für Marion Kienzle hat alles mit einer Ausbildung im Damenschneiderhandwerk zur Gesellin begonnen. Also sozusagen „von der Pike auf“, und sie sagt weiter: „Meine Kreativität, die konnte ich anschließend in meinem Modedesign-Studium ausbauen und ausleben. Mit dem Diplom in der Tasche ging es dann in die Industrie. Das war eine tolle Zeit. Mit einem super Team, viel unterwegs. Frankreich, England, Türkei, Griechenland und Deutschland auf Messen, Inforeisen und zum Anschieben der Musterung. Ich habe dort viel gelernt……doch die Kreativität war dabei recht eingeschränkt. Tja, und dann kamen meine Kinder…..eine längere Pause war geplant.“
Foto von Marion Kienzle
Damenschneiderin und Taschendesignerin
Und weiter erzählt sie dann: „Den Wunsch kreativ, handwerklich und selbständig zu arbeiten habe ich dann vor rund zehn Jahren Schritt für Schritt gestartet. Verschiedene textile Projekte liefen an und die Teilnahme an Märkten und Ausstellungen nahm zu. Während dieser Zeit habe ich auch angefangen, mit recycelten Fahrradschläuchen zu arbeiten, denn der Grundgedanke nachhaltig arbeiten zu wollen, war schon lange vorhanden. Das Material begeisterte mich und die positive Resonanz, die ich auf meine Taschen erhielt bestätigte meinen weiteren Weg. Vor zwei Jahren war es dann so weit: Der Weg in die Freiberuflichkeit war beschritten.
Recycling, Fahrradschläuche und viele Ideen
Mein Ziel ist es, mich durch das Design meiner Taschen abzuheben. Ich verarbeite die Fahrradschläuche pur oder kombiniere sie mit anderen ,meist recycelten Materialien. Applikationen, Stickereien und Druck machen jedes Teil einzigartig. So entstehen ganz besondere Unikate und Kleinserien. Mein Angebot habe ich mittlerweile mit Gürteln und Portemonnaies erweitert und es bleibt weiter spannend…..Meine Liebe für das kreative und nachhaltige Arbeiten im textilen Bereich gebe ich mit Begeisterung auch in Kursen und Workshops weiter.
Die Möglichkeiten die ich beim Entwurf meiner Taschen habe, sind noch lang nicht ausgeschöpft. Da habe ich weiterhin viele Ideen im Kopf und bin dabei außerordentlich zufrieden. Aber ich bin auch offen für andere Dinge, die auch neue Formen der Kreativität bereithalten. Das wird die Zukunft zeigen.“
Das Handwerk
Und wie genau muss man sich Marion Kienzles Handwerk vorstellen? „Ich arbeite immer ganz ‚handgreiflich‘. Die Fahrradschläuche mit denen ich arbeite, müssen vorbereitet werden. Aufschneiden, reinigen und sortieren sind die ersten Schritte die dafür nötig sind. Anschließend wird das gesamte Material ausgesucht, zusammengestellt, zugeschnitten und nun kommt die Nähmaschine ins Spiel. Hier ist eine besondere Hand-Auge-Koordination gefragt, denn Fahrradschläuche sind ein anspruchsvolles Material. Also auch hier heißt es: Hand anlegen. Das ist zur Zeit meine Definition von Handwerk, weil ich es genauso betreibe. Das Gegenteil von Handwerk ist für mich ‚Kopfarbeit‘ – wobei auch beim Handwerk durchaus immer Köpfchen gefragt ist.“
„Was will man eigentlich mehr?“
Auf meine Frage, was sie an ihrer Arbeit besonders liebt, antwortet Kienzle: „Toll finde ich die Unabhängigkeit in meiner Arbeit, sowie die vielen interessanten Kontakte, die sich dadurch ergeben. Außerdem liebe ich den gestalterischen Prozess. Auf der einen Seite ist das tolle Material und auf der anderen Seite die Idee, die sich beim Arbeiten oft auch weiter entwickelt. Durch das verwendete Material sind meine Produkte auch langlebig, robust und unempfindlich. Jede Tasche ist ganz individuell, außerdem super cool und stylisch……. was will man eigentlich mehr?“
Foto: Marion Kienzle
Und Ihre Kundschaft?
„Natürlich habe ich zu Kunden, die mit ihren Wünschen zu mir kommen eine engere Bindung. Die Gespräche sind ja viel detaillierter, als bei Kunden, die schon vorhandene Taschen kaufen. Diese umfangreiche Besprechung, über den Zweck, Form, Größe, Ausstattung und die Beratung über das Design mit den dazu benötigten weiteren Materialien ist die Grundlage für ein positives Ergebnis.
Der Kontakt bleibt meist auch nach Abschluss des Auftrages bestehen. Diese individuelle Betreuung ist finde ich sehr wichtig, denn das ist beim Kauf von industriell gefertigten Produkten nicht möglich. Die Kunden wertschätzen das auf jeden Fall und kommen dann auch mit Folgeaufträgen.“
Upcycling und handwerkliche Einzelanfertigungen
„Die meisten Dinge die wir in unserem Leben erwerben, sind industriell hergestellt. Doch wer ein besonderes Produkt haben will, wer sich von der Masse abheben will, der findet den Weg zu entsprechenden Märkten und Ausstellungen, sowie in die kleinen Handwerksbetriebe und Ateliers. Denn nur hier ist es möglich, Individualität zu erleben. Auch Taschen finden wir in Hülle und Fülle in den Kaufhäusern. Aber keine Taschen aus Fahrradschlauch. Das Material ist nicht einfach zu verarbeiten und für die industrielle Fertigung nicht geeignet. Unikate in kreativem Design sind eben ein herausragendes Merkmal für handwerkliche Einzelanfertigungen.
Der Bereich des upcyclings, zu dem meine Arbeiten ja gehören, war noch vor wenigen Jahren ein Nischenbereich, der nur vereinzeln in der Industrie Einzug gefunden hatte. Doch setzt er sich in der Gesellschaft kontinuierlich weiter durch und festigt sich langsam, aber sicher im Bewusstsein der Menschen. Das finde ich persönlich sehr, sehr wichtig.“
Qualitätsbewusste Kunden sind wichtig
Und als ich sie frage, ob sie findet, dass es heute noch genügend handwerkliche Angebote – auch im Ausbildungsbereich – gibt, antwortet sie, ausdrücklich auf ihre eigene Arbeit bezogen: „Das Angebot an kunsthandwerklich gefertigten Dingen wird natürlich auch von der Nachfrage geprägt. Dafür benötigt man qualitätsbewusste Kunden, die auch den Wert einer solchen Arbeit zu schätzen wissen und bereit sind den höheren Preis dafür zu bezahlen, denn Unikate und Kleinserien lassen sich nicht mit Produkten aus der Massenproduktion vergleichen. Wenn sich die Mentalität in unserer Gesellschaft weiter in Richtung ‚Klasse statt Masse‘, weg von der schnelllebigen Wegwerfgesellschaft entwickelt, kann sich das Handwerk auch dort weiter entwickeln. Wenn die Aussichten auf Arbeit steigen, dann wird es sicher auch wieder mehr ausbildende Handwerksbetriebe geben.“
Vielen Dank, Marion Kienzle!
Mehr Porträts kreativer Handwerker/innen finden Sie übrigens hier.
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