Die Frage: Was genau bedeutet eigentlich „Made in Germany“? lässt mich nicht los. Welche Produkte sind stark, eigensinnig und über die Zeiten ausdauernd genug, damit man sie „100% Made in Germany“ nennen kann? Wenn das Produkt bis in seine Einzelteile aus Deutschland kommt und auch wirklich alle Produktionsschritte hier geschehen, ist die Sache natürlich eindeutig. Aber das ist der Ideal-, keineswegs der Regelfall. Ich habe mich dem Thema dieses Jahr bereits aus verschiedenen Blickwinkeln zu nähern versucht… all meine Beiträge zum Thema „Made in Germany“ hier.
Made in Germany – nur eins von vielen Beispielen: Keramik von Hedwig Bollhagen. Handmade in Germany. Quelle: https://handmade-worldtour.com/
Handgemachtes aus Deutschland weltweit unterwegs
Das ganze Jahr 2016 über aber lief auch eine unglaublich spannende Wanderausstellung zum Thema… Und zwar weltweit, mit Stationen in St. Petersburg, Mosau, Shanghai, Macao und Shenzhen. Weitere Stationen folgen 2017: Hongkonk, Peking, Dubai, Abu Dhabi viele mehr, denn: „Handmade in Germany ist eine auf mehrere Jahre angelegte Tourneeausstellung deutscher Manufakturen um die Welt. Die Ausstellung nimmt die Route von Berlin aus zunächst nach St. Petersburg, um von dort über Asien nach Amerika und den mittleren Osten den Weg wieder nach Europa zu finden. Die Tour macht Station in spannenden Städten und Metropolen. Erreicht werden die Stationen zumeist über den Seeweg, aber auch über Land. Die Idee der Tour selbst ist inspiriert von der so genannten ‚Walz‘ – so nennt man seit Jahrhunderten im deutschen Handwerk die ‚Gesellenreise‘, eine Reise zukünftiger Gesellen nach Abschluss ihrer Lehrzeit […] – eine deutsche Tradition, die bis heute fortlebt.“
Worum geht es der Ausstellung inhaltlich?
„Im exklusiven Spektrum der Ausstellung befinden sich Exponate, die in führenden deutschen Museen gastierten und Teil von staatlichen und privaten Sammlungen sind. Der Facettenreichtum der Ausstellung reicht vom innovativen, charaktervollen Designunikat, entwickelt von namhaften und preisgekrönten deutschen Künstlerinnen und Künstlern, über individuelle kunsthandwerkliche Einzelstücke bis hin zu einer Kostprobe der neuen, anspruchsvollen Gastronomiekultur Deutschlands.“ Kurz: “ Die Ausstellung zeigt Meisterwerke von 180 deutschen Manufakturen, Kunsthandwerkern und Designern.“
Der Grund für diese groß angelegte Tournee ist simpel – und führt direkt zu meinen ständigen Fragen nach einer Definition des „made in germany“. Die Tourveranstalter beschreiben ihre Intention so: „Deutschland besitzt zahlreiche herausragende Manufakturen, die auf höchstem Niveau produzieren. Der Grund dafür liegt in der historischen Tradition des deutschen Handwerks. Die Ausbildung vom Lehrling über den Gesellen bis zum Meister ist in der Welt einzigartig, so dass ein breiter Zugang zum überlieferten Wissen und eine große Tiefenschärfe erreicht werden, die das Handwerk zu einem der innovativsten Wirtschaftsbereiche des Landes machen. Die Ausstellung ‚Handmade in Germany‘ zeigt das deutsche Handwerk, immer noch beeinflusst vom Geist der Künstlerbewegungen wie Werkbund und Bauhaus, als einen der wichtigsten Bestandteile des kulturellen Erbes in Deutschland. ‚Handmade in Germany‘ ist eine Reise durch das moderne und traditionelle Deutschland der Dinge und seiner Menschen“ – diese und weitere Ausführungen zu der groß angelegten Ausstellung finden Sie hier: https://handmade-worldtour.com/exhibition/manufacturers/
Noch einmal: Was genau bedeutet „Made in Germany“?
Was von der Ausstellung im Internet zu sehen ist, würde ich unter den Begriffen „Design“ und „Handwerk“ zusammenfassen. Und das führt mich zu einer plausiblen Definition des fast schon „mythischen“ Begriffs „Made in Germany“. Für mich sind dabei zwei Schritte notwendig: Erstens sollte man versuchen, die „Made in Germany“-Produkte aus dem Kontext der reinen Produktion zu lösen, wo sie ohnehin in viel zu großer Nähe zur industriellen Fertigung stehen. Denn „Industrie“ ist heute kaum noch anders als global zu leisten, mit allen Nachteilen von Preispolitik über Konkurrenz bis zu den Produktions- und Transportbedingungen. Industrielle Produkte eignen sich also NICHT (mehr) für das Etikett „Made in Germany“. Denn – wie der Name ja eindeutig sagt – geht es um eine rein regionale Angelegenheit. Nur: Es gab traditionelle Produkt-Regionen, die schon lang verschwunden sind…. die Tuch- und Seidenweber aus Krefeld zum Beispiel. Andere dagegen gibt es noch: Erzgebirge, Schwarzwald, Messer aus Solingen. Aber auch dieser Gedanke führt in eine Sackgasse, denn wir sprechen ja von ganz Deutschland. Und darum sollte der Begriff so eindeutig und umfassend wie möglich sein. Was aber umfasst gleichzeitig das Erzgebirge UND die Stadt Solingen UND den Schwarzwald? Ich fürchte: Auf diesem Weg finden wir keine Gemeinsamkeiten, sondern nur weitere Unterschiede.
Gemeinsames Merkmal: Das Ringen um Qualität
Was aber noch wichtiger ist: Der Begriff „Made in Germany“ sollte – zumindest in meiner Vorstellung – weder nostalgisch noch „kleinteilig regional“ daher kommen. Seine Produkte brauchen außerdem die Dimension der Langlebigkeit, denn das ist eines ihrer Wesensmerkmale. Und er braucht den Bezug zur Nachhaltigkeit, im Sinne von: „Wir machen ganz sicher nicht jede Mode mit.“ Diese Überlegungen führen mich zu meinem zweiten Schritt: Der Frage nach den Gemeinsamkeiten. Es geht nicht um Industrie, es geht um Handwerk, um „Manufaktur-, um Handarbeit. Und: Es geht um etwas Übergeordnetes. Um das Ringen um Qualität, um Überregionales, um Form und Langlebigkeit.
In der Welt der Mode gibt es den „skandinavischen Stil“, den „american style“, in der Möbelwelt das „italienische Design“, auch hier „skandinavisches Design“ – das sind nur ein paar Beispiele, es lässt sich noch lang fortsetzen. Ich denke, dies ist ein möglicher Ansatz: Wenn „(Hand-)Made in Germany“ Handwerk bedeutet, dann hat es – neben vielem anderen – auch immer etwas mit langlebigem, hochwertigem Design zu tun. Zumindest deutet die oben zitierte Ausstellung stark darauf hin. Denn zum Design gehört ja auch dies: „….die Kreativität der handwerksgetriebenen Qualitätsproduktion, deren Erzeugnisse nicht allein Handelsware, sondern auch Träger von Identitäten und Wertvorstellungen sind.“ (Auch aus der Ausstellungsbeschreibung, https://handmade-worldtour.com/)
Luxus Manufakturarbeit?
Da kommt ein weiterer, in diesem Zusammenhang gern benutzter Begriff ins Spiel, der eigentlich nichts als die lateinische Übersetzung des „Handgemachten“ ist: die Maunfakturarbeit. „Manufakturen“ werden bei Wikipedia so definiert: „Der Begriff Manufaktur im Sinne von Handfertigung wird heute verbunden mit hoher Qualität, Luxusgegenständen und Exklusivität und wird deshalb gerne für hochpreisige Waren eingesetzt. Daher erlebt der Begriff in den letzten Jahren eine Renaissance, sodass sich eine Vielzahl von Betrieben den Titel Manufaktur aneignet.“ Die Sache mit dem „Luxus“ sehe ich ein wenig anders, denn die „Hochpreisigkeit“ hat ja durchaus Gründe: Wie auch zahlreiche der von mir portätierten Handwerkerinnen und Handwerker betont haben, hat Handwerk einfach einen anderen Rhythmus als industriegefertigte Ware – da gehen nicht selten Hunderte von Arbeitsstunden ins Land, bis ein Produkt in Handarbeit fertig ist. Das ist kein Luxus, sondern schlichte Notwendigkeit!
Nachhaltigkeit
Manufakturen sind ein Musterbeispiel für nachhaltiges Wirtschaften: Ihr Produktionsradius, die Langlebigkeit ihrer Produkte und eine Produktionsweise, die die natürlichen Ressourcen schont, machen Manufakturen zu einem Prototyp für ökonomische Nachhaltigkeit: Die Ausstellung „Handmade in Germany“ will zeigen, dass gerade die mittelständischen Manufakturen vor dem Hintergrund des globalen Wandels und im Zuge der fortschreitenden Normierung, Digitalisierung und Entmaterialisierung eine ideale Alternative zu gängigen Wirtschafts- und Geschäftsmodellen anbieten. Manufakturen sind vor allem durch persönliche und enge Kundenbeziehungen gekennzeichnet, durch überschaubare Strukturen, lokale und regionale Versorgung sowie ökologische Verantwortung. Damit übernehmen Manufakturen eine wichtige gesellschaftliche Funktion.
Nachwuchsförderung
Die Ausstellung will dazu anregen, der Nachwuchsförderung gerade in den spezialisierten Handwerksberufen einen neuen Schwung zu geben. Schulabsolventen und Auszubildende sollen von der Ausstellung „Handmade in Germany“ inspiriert werden und erkennen, welche persönlichen Chancen sich durch die Ausübung eines Handwerksberufs der in der Ausstellung präsentierten Branchen und Gewerke ergeben können. In der Qualitätsproduktion der Manufakturen stehen die Qualität der Arbeit und die Vervollkommnung der eigenen Fähigkeiten im Mittelpunkt – Werte, aus denen sich, neben dem Interesse für die jeweiligen Inhalte der Berufe, auch persönliche Erfüllung und Selbstbewusstsein ziehen lassen. Die Ausstellung will damit nicht nur Absolventen in Deutschland begeistern, sondern auch an den jeweiligen internationalen Stationen der Tour jungen Menschen die Möglichkeit bieten, mit renommierten Unternehmen und Manufakturen in Kontakt zu kommen und Karrierewege im persönlichen Dialog kennenzulernen.
Kooperationen
Die Ausstellung ist eine Chance zur Förderung eines fachlichen, branchenübergreifenden Erfahrungsaustauschs. Im Rahmen der Ausstellung und der parallelen Veranstaltungen kann eine intensive Vernetzung und Kooperation zwischen deutschen und internationalen Manufaktur-Produzenten, Designern, Vermittlern und Wissenschaftlern erfolgen. Die Ausstellung bietet den Anlass, die jeweilige Kultur des Partnerlandes kennenzulernen und über den Weg der Entdeckung bestimmter Themen, Gewerke oder Künste in einen regen Gedankenaustausch zu treten. Hierzu zählen auch die Zusammenführung von Designern und Design-Netzwerken, die Stärkung von interkulturellen Vermittlungs- und Managementkapazitäten bei Vertriebspartnern und die Anbindung an lokale Institutionen des jeweiligen Gastlandes.
Initiiert und getragen wird die Tourneeausstellung von der Stiftung Direktorenhaus, die von den Kuratoren Pascal Johanssen und Katja Kleiss geleitet wird. Das Direktorenhaus, im Zentrum Berlins gelegen, widmet sich in Ausstellungen der zeitgenössischen angewandten Kunst. Zu sehen sind in regelmäßigen Präsentationen Ausschnitte aus der facettenreichen Designsammlung internationaler Designer und Kunsthandwerker der Gegenwart.
Weitere Informationen zur Ausstellungstournee
Und hier noch ein interessantes Interview zu der Ausstellung des ad-Magazin mit Ausstellungs-Kurator Pascal Johanssen.
Text und Foto: Maria Al-Mana, die Texthandwerkerin
www.texthandwerkerin.de
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