„Hallo! Ist dein Vater etwa Glasermeister?“ Hat mich meine eigene Oma vor langer Zeit mal unwirsch gefragt. Ich war perplex. Sie kannte doch meinen Vater! Und: Nein, der ist kein Glasermeister. Was also soll die blöde Frage? Die Antwort war ganz einfach: Meine Oma sah nicht mehr richtig. Weil ich ihr im Licht stand. Ich glaube, sie wollte grad einen Nähfaden durchs Nadelöhr bringen.
Wie kaum ein zweiter Bereich zieht das Handwerk Sprüche, Lebensweisheiten und Ratschläge nach sich. Manchmal ein wenig gemein, manchmal ziemlich um die Ecke gedacht…. wie die Sache mit dem Glasermeister. Die geht so: Wenn ein Glaser – Meister oder nicht – ein Kind zeugt, müsste es durchsichtig sein. Ist der Vater aber kein Glaser, steht es halt undurchsichtig im Licht rum und versperrt die Sicht auf Nadelöhre und anderes.
Die meisten dieser Sprüche stammen aus der Blütezeit des Handwerks, also vom Mittelalter bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Vor allem aus der Zeit, als die deutschen Städte immer mehr Bewohner innerhalb ihrer Stadtmauern beherbergen mussten – es also ziemlich „eng“ wurde. Da machte sich bald heftiger Unmut konkurrierender Handwerker untereinander, zwischen verschiedenen Zünften und auch bei Kunden und Nachbarn durch solche Sprüche Luft.
„Glaser sind nur Lausekerl“
In dieser Enge mittelalterlicher Städte haben einige der recht drastischen Sprüche und auch Strafen ihren Ursprung. Und es ist sicher kein Zufall, dass viele alte „Zunftregeln“ – also die verbindlichen Benimmregeln aller Handwerksstände (die bei Zuwiderhandlung mit heftigen Strafen belegt wurden) – die „üble Nachrede“ ausdrücklich und immer wieder verbieten. Aber Weisheiten aus dem „Volksmund“ können nur schwer unter Strafe gestellt werden…. und so hält sich manches noch bis heute: das Klüngeln zum Beispiel, wenn einer dem andren etwas „zuschustert“. Krämer waren auch nicht sonderlich beliebt: „Der Bettler schlägt kein Almosen, der Hund keine Bratwurst, der Krämer keine Lüge aus“, besagt eine dieser Volksweisheiten. Auch nicht grade nett: „Metzger, Gerber und Schinder sind Geschwisterkinder“. Über solche Sprüche lässt sich also – wie man sieht – auch gut die Stellung einzelner Handwerksberufe in der Gesellschaft rekonstruieren. Wie ge- oder verachtet waren sie? Leineweber etwa galten immer als „armselig“, manchmal sogar als unehrlich, unzuverlässig, kurz als „gemeines Volk“, sie wurden verspottet und schlecht behandelt – eben WEIL sie arm waren. „Gewandmacher“ und „Tuchherren“ dagegen waren reich. Und darum geachtet. Erinnert uns das vielleicht an heutige Verhältnisse der Bekleidungsproduktion?
Neid, Eifersucht und – als Kehrseite davon – der Stolz auf den eigenen Berufsstand – waren der Hauptantrieb solcher Sprüche: „Mit der Hochschätzung des eigenen Handwerks verbindet sich oft genug Geringschätzung anderer Gewerke“, schreibt beispielsweise Eduard Otto in seinem 1913 erschienenen Standardwerk „Das deutsche Handwerk“ und zitiert aus einem Eigenloblied der Schuster: „Glaser sind nur Lausekerl“.
Und wie ist das heute?
Was meinen Sie? Neid, Missgunst oder Enge sind heute sicher keine Gründe mehr, dass ein Handwerker so über einen anderen „herzieht“. Aber was ist mit Vorurteilen, Nationalstolz („Italiener sind die besten Köche der Welt!“) und guter/schlechter Reputation („alle Polen/Muslime/Türken sind….“)?
Text und Foto: Maria Al-Mana, die Texthandwerkerin
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