Es ist inzwischen schon ein Phänomen für mich, mit dem ich regelmäßig rechne, wenn ich zum ersten Mal das Manuskript eines Sachbuchs aufschlage, das ich lektorieren will: Ich lese die ersten Seiten, schlage die Hände überm Kopf zusammen und denke: „Ach herrjeh! Nein! So bitte nicht!“ Da ich das nun schon weiß, gebe ich an dieser Stelle NIE auf. Sondern lese grundsätzlich weiter. Immer. Und – siehe da! – das Folgende ist so oft um Klassen besser als das Vorwort, der erste Teil, die „Vorbemerkung“ oder wie immer diese ersten Seiten überschrieben sind. Das ist nicht der Punkt – der Titel dafür kann völlig frei gewählt werden. Der Inhalt eher nicht.
Machen wir uns mal ein paar Punkte klar
Wir reden hier von einem Sachbuch. Auch wenn es unterhaltsam geschrieben, erzählend oder mit Lerneinheiten bestückt ist, immer steht für den neuen Leser, die neue Leserin eine Art Drohung im Raum: Hilfe, es geht um ein Sachthema! Werde ich verstehen, wovon die Rede ist? Wird mich der Autor/die Autorin kompetent begleiten, mich durch das (möglicherweise schwierige) Thema führen? Werde ich nicht meine Zeit mit dem Lesen dieses Buches verplempern? Wird es mir nutzen – irgendwie? Darum:
Treten Sie Ihrem Leser, Ihrer Leserin von Anfang an freundlich, offen entgegen! Sie müssen sich natürlich nicht „anbiedern“, aber es wäre schön, wenn Sie Ihre Leser/innen behandeln wie einen Menschen, der auf Besuch kommt: Öffnen Sie ihm die Tür, lächeln ihn an, nehmen Sie ihm den Mantel und – so weit als möglich – etwaige Bedenken schon an der Tür ab.
Sachbücher haben (fast) immer Konkurrenz
Der Sachbuchmarkt boomt – die Verkaufszahlen dieses Buchgenres machen rund 10 Prozent des gesamten Buchmarktumsatzes aus. Das bedeutet: Ihre Konkurrenz ist ziemlich groß. Darum sind Sie selbst ein nicht unwichtiger Faktor. Natürlich müssen Sie nicht gleich Försterin, Zauberer, Komiker, Ärztin, Schauspielerin, Fußballer, Moderatorin und Buchautorin in einer Person sein, wenn Sie ein halbwegs gut verkaufbares Sachbuch schreiben wollen. Aber eins ist sicher: Sympathie hilft!
Nehmen wir mal als Beispiel Eckart von Hirschhausen. Was immer man von ihm halten mag, es gibt eine Sache, die ihn mit Sicherheit auszeichnet: Er stellt sich immer auf eine Stufe mit seinem Gegenüber. Lässt niemals den besserwisserischen Arzt „raushängen“, hat nie was Überhebliches – das lässt ihn immer sympathisch wirken.
Genau das sollten Sie auch schon auf den ersten Seiten Ihres neuen Sachbuchs tun: In Ihrem neuen Leser, Ihrer Leserin begegnen Sie einem fremden Menschen. Sie werden sich selten in die Augen sehen, und doch überkreuzen sich Ihre Interessen mit Sicherheit: Sie wollen etwas vermitteln, was Ihre Leser/innen wissen wollen. Also nehmen Sie diesen fremden Menschen bitte mit, machen sich mit ihm vertraut, stellen Sie sich ihm vor, nehmen ihm die Scheu vor Ihnen … Kurz: Auch ohne echten Blickkontakt lässt sich auf Augenhöhe schreiben – und das sollten Sie auch tun. Egal, wie schwierig das Thema vielleicht später wird: Im Vorwort ist das IMMER möglich!
Bleiben Sie bei sich selbst!
Vor allem aber machen Sie klar, warum Leser/innen Ihnen vertrauen sollen: Welche Erfahrungen, welche Kenntnisse haben Sie? Was befähigt Sie dazu, dieses Buch zu schreiben? Das können nur Sie beantworten, das ist absolut individuell. Darum der dringende Tipp: Sagen Sie „ich“. Und verhalten sich Ihren Leser/innen gegenüber wie Kollegen, Nachbarn oder entfernten Verwandten. Zeigen Sie ihnen, dass Sie sie ernst nehmen!
Die Sache mit der Fachkenntnis – die Sie vermutlich vor allem vermitteln wollen – kommt dann wie von selbst. Aber das hat noch Zeit. Ziemlich viel Zeit sogar. Denn es ist ja das, was Sie in den folgenden 100 bis 200 Seiten des Buches erst vermitteln wollen. Bleiben Sie erst einmal bei sich selbst, dann wird auch das geschehen, was meiner Ansicht nach an dieser Stelle das Allerwichtigste ist: Leser/innen werden beginnen, Ihnen zu glauben. Auch, wenn sie unter Umständen im Verlauf des Buches ganz anderer Meinung als Sie sein können …
Ihr Bestreben im Vorwort eines Sachbuchs sollte es also sein, als Expert/in ernst genommen zu werden, auf Augenhöhe mit Ihren Leser/innen zu stehen. Wenn Sie Ihre Sache richtig gut machen, ziehen Sie Leser/innen jetzt schon in Ihren Bann, mitten hinein in das Thema, das Ihnen am Herzen liegt – all das, was ich hier sage, gilt übrigens genauso für reine Ratgeber wie für biografische Texte.
Doch: Übertreiben Sie es bitte nicht! Ich habe auch schon erste Kapitel gelesen, in denen Autor/innen es sichtlich darauf anlegen, gemocht (fast hätte ich gesagt: geliebt) zu werden. Das wäre nun wirklich zu viel verlangt: Also: Sich zu zeigen, ein bisschen was über sich und die Relevanz des Themas für Sie zu verraten, ist sehr gut. Schlecht dagegen wäre, sich anzubiedern, nach dem Motto: Ich bin so toll, du MUSST mich mögen! Kleine Schwächen einzugestehen, macht dagegen wieder sympathisch – auch das sollte nicht überhand nehmen, kann aber im Vorwort bei Leserinnen und Lesern ein Gefühl wie: „Ach, der/die tickt ja so ähnlich wie ich …“ erzeugen. Was kein schlechter Anfang ist.
Sie KÖNNEN gar nicht alles vorher wissen!
So, und jetzt kommt der größte Irrtum von allen: Gerade, weil in einem guten Sachbuch eine Art „Sog“ entstehen sollte (das ist übrigens in der Belletristik nicht anders …), machen viele Autorinnen und Autoren den Fehler zu glauben, sie müssten beim Schreiben immer mit dem ersten Wort, der ersten Zeile, dem ersten Kapitel beginnen. Warum eigentlich?! Das selbst geschrieben Buch ist immer auch eine Art „lebender Organismus“: Es entwickelt sich – und wir sollten ihm auch die Chance dazu lassen. Das ist zudem noch einer der ganz großen Vorteile, die das Sachbuch gegenüber den meisten anderen Textgattungen hat: Da geht das. Ganz problemlos. Darum:
Ich finde ja: Nein, müssen Sie nicht! Sie können sich gern Notizen dazu machen, ein paar rudimentäre Sätze formulieren – immer mit dem Ziel, die im Lauf Ihrer Arbeit zu ergänzen. Denn Sie könnten erst beim Schreiben bemerken: „Ach, das liegt mir ja viel mehr am Herzen als ich dachte!“
Schließlich wollen Sie ja guten Gewissens „Ich“ sagen können. Ihr Schreibprozess und das Thema/Ihr Buch werden Ihnen während des Schreibens mehr oder weniger von selbst erzählen, was in das Vorwort gehört: „Das ist ein Knackpunkt!“ Oder: „Hier laufen ja mehrere Fäden zusammen!“ Wer ein Gefühl für solche Punkte entwickelt, schreibt das Vorwort mehr oder weniger nebenbei – neben dem eigentlichen Schreibprozess. Und das wird dann auch kein bisschen angestrengt klingen – was wiederum das Vertrauen der Leser/innen in Ihre Glaubwürdigkeit stärkt.
Verbauen Sie sich das Vorwort nicht unnötig!
Viele Autorinnen und Autoren reden zudem auch während des Schreibens mit Freunden, Verwandten über das Thema – da hören Sie schon sehr gut, was ankommt, was nicht, wo andere Positionen zu Ihrer Meinung bestehen … Jetzt beginnen Sie aber bitte keinesfalls, Ihre Position zu verändern! Die muss bleiben, das ist der Kern Ihres Inhalts, es ist Ihre Stimme, Ihr Zugang zum Thema! In einem Vorwort könnten Sie sich aber trotzdem mit diesen anderen Aspekten kurz auseinandersetzen. Oder Sie erzählen eine Geschichte, die Ihnen während des Schreibens zum Schreibprozess, zu den Gründen der Wahl Ihres Themas oder aus der Perspektive anderer Sachbereiche auf IHR Thema eingefallen ist. Oder Sie merken während des Schreibens, dass bestimmte Menschen (oder Dinge) Sie unerwartet gut unterstützen – dann wäre eine kleine Lobhudelei im Vorwort auch keine schlechte Idee …
Das alles kristallisiert sich aber erst IM Schreibprozess heraus … Darum können Sie es – genau betrachtet – auch gar nicht vorher schreiben. Viele Autor/innen versuchen es trotzdem. Ich finde: Wäre doch extrem schade, wenn Sie sich das Vorwort schon so verbaut hätten, dass Sie all die aufgezählten Möglichkeiten (und sicher noch ein paar mehr ..) nicht mehr nutzen können!