Mit dem Porträt dieser kreativen Handwerkerin bewegen wir uns eindeutig im Bereich der ausgestorbenen Handwerksberufe: Anne Tomczyk tut etwas, was im Mittelalter völlig normal war, heute dagegen nur noch selten vorkommt: Sie ist Färberin. „Das Färberwesen hat eine jahrtausendealte Tradition und ein eigenes Berufsbild mit zahlreichen Spezialisierungen herausgebildet. Heute wird es – sofern nicht handwerklich ausgeführt – der chemischen Industrie zugerechnet. Das Färben von Textilien erfolgt seit dem 19. Jahrhundert in industrieller Produktion.“ Die Zitate stammen von Wikipedia. Sie selbst sagt: „Interessant ist, wie schnell die Welt vergessen kann. 1856 ist der erste synthetische Farbstoff entdeckt worden. Es sind also nur 160 Jahre seitdem vergangen, um ein Jahrtausende altes Wissen zu vergessen und als unnütz oder unmodern, unwirtschaftlich darzustellen.“
Färben mit natürlichen Materialien – ein fast vergessenes Handwerk. Hier mit Färberkamille. Foto: Tomczyk
Ich stieß auf Anne, weil sie bei Facebook immer wieder ansprechende Fotos ihres Handwerks postet, im Internet ist sie unter https://nadelbindung.blogspot.de zu finden. Denn das Nadelbinden – eine Technik zur Herstellung von textilen „Flächengebilden“ und damit eine jahrtausendealte Vorform des Strickens und Häkelns – gehört auch zu den Produkten ihrer Arbeit. Sie fertigt die Nadeln aus Naturmaterialien, natürlich ebenfalls in Handarbeit, benutzt sie für eigene Arbeiten aus selbst gefärbten Garnen, genauso auch Spindeln.
Sie verkauft ihre Farbmischungen, eingefärbten Garne zum Nähen oder Stricken, die Nadelbinden, Spindeln und anderes sowie mit Naturmaterialien eingefärbte Stoffe, näht auch selbst, gibt Workshops, Kurse, arbeitet mit Museen zusammen und vieles mehr.
Durchaus eine große Farbpalette: Anne Tomczyk mit selbst gefärbten Garnen. Foto: Tomczyk
Und hier meine Fragen an Anne Tomczyk
Seit wann üben Sie ihr Handwerk denn schon aus? Wie ist Ihre Ausbildung?
Ich färbe seit vier Jahren beruflich, vorher war das eher mein privates Hobby. Eine Ausbildung im klassischen Sinne gibt es dafür leider nicht mehr. Seit 1856 der erste synthetisch hergestellte Farbstoff entdeckt wurde, geriet das Färben mit Pflanzen und Pilzen immer mehr in Vergessenheit. Zwar gab es ein erneutes Interesse in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, aber wenn ich heute Menschen darauf anspreche, ist da bei vielen immer noch dieser „Hippie-Beigeschmack“. Erst dadurch, dass viele Menschen durch ein neues Umweltbewusstsein ihre Kleidung und somit auch die Produktion ihrer Textilien hinterfragen, erlebt das Färben mit natürlichen Zutaten wieder eine Nachfrage.
Der Natur kleine Geheimnisse entlocken….
Stellen Sie sich bitte vor, Sie müssten einem Blinden beschreiben was Sie beruflich tun
Mein Bestreben ist es, die Farben, die die Natur für uns bereithält, auf Textilien und Garne zu übertragen. Ich koche also zum Beispiel die knisternden, trockenen Zwiebelschalen aus, die sonst weggeworfen werden würden und färbe in diesem Sud ein vorher weißes Garn. Je nach verwendeter Menge an Schalen, ist das Garn danach Orange oder Gelb. Das Färben mit natürlichen Zutaten bedeutet immer auch ein wenig, der Natur kleine Geheimnisse zu entlocken: Welche Pflanze ergibt welche Farbe und welche Teile kann ich nutzen?
Färben nach Nummern aus dem Baumarkt? Keine Chance!
Wie ist das Verhältnis von Handwerk und Kreativität in Ihrer Arbeit?
Wenn ich für Kunden arbeite, dann überwiegt das Handwerk. Das Wasser muss auf die richtige Temperatur gebracht werden, die benötigte Menge bestimmter Pflanzen wird eingeweicht und ausgekocht, um die vom Kunden gewünschten Farbtöne zu erzielen.
Beim Färben mit natürlichen Zutaten kann man den Farbton nie mit hundertprozentiger Genauigkeit vorhersagen. So muss ich Kunden, die mir aus dem Baumarkt eine Farbnummer für Wandfarben nennen, leider enttäuschen. Ich versuche jedoch so nah wie mit den Materialien möglich, den Kundenwunsch zu erfüllen.
Kreativ kann ich dagegen immer sein, wenn ich experimentiere. Ich sammele unterwegs immer mal wieder kleinste Mengen von Blättern, Kräutern, Nüssen und Ähnlichem ein und färbe dann Zuhause in kleinen Grammportionen Woll- und Seidenstränge. Dabei geht es nicht darum, eine bestimmte Farbe zu erzielen, ich möchte einfach sehen, was sich ergibt und wie sich zum Beispiel verschiedene ph-Werte auf die Färbungen auswirken.
Ich denke, auf diese Weise habe ich für mich einen guten Ausgleich zwischen experimentellem Färben und dem Färben für Aufträge gefunden.
Experimente mit Dost, einer Pflanze aus der Oregano-Familie. RedRefur ist Annes Arbeitsname. Foto: Tomczyk
Können Sie mir bitte den Begriff „Handwerk“ definieren – ganz konkret auf Sie und Ihre Arbeit bezogen?
Das ist erst mal eine Arbeit, von der ich abends müde bin, manchmal Muskelkater vom Wassertragen oder dem Anheben der nassen Stoffe habe. Das Holz muss gehackt, die Garne müssen gewickelt werden. Alles geschieht mit meinen Händen und es gibt da wenig Möglichkeiten, etwas zu automatisieren.
Dann ist Handwerk aber natürlich auch dieses zufriedene Gefühl, etwas geschafft und erschaffen zu haben. Und wenn ich dann sehe, wie die Kunden glücklich über ihren Stoffen, Garnen und Nadeln sitzen, dann ist auch der Muskelkater vergessen.
Scheinbar Vergessenes lebt!
Was lieben Sie an Ihrer beruflichen Tätigkeit am meisten?
Hmm….Menschen mit einem alten Handwerk glücklich zu machen und das Färben am Leben zu erhalten. Der Gedanke, dass scheinbar Vergessenes wieder getan, als Handwerk ausgeübt wird.
Auch Farben können lebendig sein
Was ist aus Ihrer Sicht das Gegenteil von „Handwerk“?
Auf meinen Beruf bezogen? Maschinell gewebte, synthetisch gefärbte Stoffe, die am besten nichts mehr mit Naturstoffen wie Wolle, Leinen, Seide und Baumwolle zu tun haben. Wenn Farben ewig reproduzierbar, fast klonbar erscheinen. Naturfarben sind zwar mitunter weniger lichtecht als synthetische Färbungen (die auch ausbleichen), aber sie durchlaufen einen Wandel, so wie sich alles Lebendige verändert.
Kundenbeziehungen sind selten unpersönlich
Wenn Kunden bei Ihnen etwas in Auftrag geben, müssen Sie da vorher viel erklären? Gibt es besondere Kunden-Bindungen?
Das ist von Kunde zu Kunde unterschiedlich. Da ich mit den meisten Kunden eher über den Aspekt des Färbens für historische Darstellungen für Museen arbeite, gehen wir schon durch, welche Farben möglich sind. Andere Kunden treten an mich mit bestimmten Farbwünschen heran, oder es geht ums Handarbeiten und der Kunde möchte eine Nadel oder eine Spindel aus bestimmten Materialien haben. Das ist schon spannend und wenn man so häufig über die Projekte schreibt wie ich, bleibt es meistens nicht auf der 100prozentig professionellen, rein geschäftlichen Ebene – das wird dann auch schon mal persönlicher. Das liegt aber fast immer auch an dem gemeinsamen Hobby, den Interessen, die ich mit den meisten meiner Kunden teile. Ich mag diese persönliche Kundenbeziehung sehr. Und musste in den ganzen vier Jahren auch noch nie jemanden abmahnen. ;Färben mit natürlichen Materialien… Collage von RedRefur
Solide Qualität ist NICHT schnelllebig!
Finden Sie, dass es im Deutschland von heute noch genügend handwerkliche Angebote gibt?
Es gibt die Produkte auf jeden Fall und auch die Handwerker dahinter, außerdem etwa eine Handvoll Ausbildungsplätze… Die Frage ist nur, ob jemand, der zum Beispiel eine Ausbildung zur Stickerin machen möchte, ohne Ausgleichsvergütung von dem geringen Auszubildendengehalt leben will und kann. Und wie sieht es nach der Ausbildung aus? Bei Kunden aus Deutschland muss ich manchmal erklären, warum ein pflanzengefärbter Wollstoff seinen Preis hat und dass er seinen Preis wirklich wert ist. Das liegt, denke ich, aber eher an unserer schnelllebigen Gesellschaft. Schon nach dem Krieg war es für meinen Großvater schwer, als gelernter Schneider zu arbeiten und ausreichend zu verdienen.
Ich würde mir wünschen, dass das Ansehen des Handwerks wieder mehr steigen würde, dass die Menschen sich darüber bewusst werden, was es ohne das Handwerk alles nicht gäbe und bereit wären, lieber einen etwas höheren Preis in Kauf zu nehmen, damit sie solide Qualität bekommen.
„Keine Hamsterkäufe mehr … das wäre schön!“
Wenn Sie für sich und Ihr Handwerk einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Es wäre herrlich, wenn es wieder mehr Quellen für reine Schurwolle aus artgerechter Haltung gäbe, Garne, die sich auch zum Weben eignen oder ungebleichte Leinenstoffe. Wir haben dafür eine kleine Handvoll Händler und in den letzten Jahren musste ich so manch einen Hamsterkauf tätigen, dass es sich für die großen Spinnereien kaum noch lohnt eben diese Produkte herzustellen. Keine Hamsterkäufe mehr…das wäre schön. Denn das Interesse an Naturstoffen und -garnen ist da, es muss nur eben wachsen.
Mehr Porträts kreativer Handwerker/innen finden Sie übrigens hier.
Und wenn Sie mich brauchen: Ich bin Ihre kreative Texterin, Buch-Hebamme, Lektorin und mehr. Kontakt maria@texthandwerkerin.de