„Werte erhalten. Mythen pflegen“, so lautet das überaus treffende Motto der Internetseite Omnia, auf der die Diplomrestauratorin Dr. Gundula Tutt ihre handwerkliche Arbeit zur Restauration historischer Fahrzeuge im badischen Vörstetten präsentiert. Ich freue mich, mit ihr ein weiteres ungewöhnliches Handwerk und dessen Arbeitsweise ein wenig näher beleuchten zu können.
Foto: © https://omnia-online.jimdo.com/
Frau Dr. Tutt, beschreiben Sie uns bitte: Was ist Ihre Ausbildung? War die „klassisch“? Oder sind Sie eher „Quereinsteigerin“?
Grundsätzlich habe ich das auch gelernt was ich heute mache, allerdings in einem anderen Feld der Restaurierung. Ursprünglich wurde ich für die Erhaltung von Gemälden, Skulpturen und Wandmalereien ausgebildet und habe nach der praktischen „Grundausbildung“ in genau diesem Fach mein Studium und mein Diplom absolviert (- das anschließende Studium ist heute der anerkannte Weg zum Restaurator, – wie alles in diesem Beruf eine wunderbare Mischung aus „Theorie und Praxis“, „Hand und Hirn“….). Den „Fachbereich“ in dem ich heute arbeite gab es zu dieser Zeit allerdings so noch nicht und er wird erst in den letzten Jahren in der Art und Weise „weiterentwickelt“, in der ich arbeite. Das ist natürlich etwas, was ich mit meinen „Wanderungen zwischen den Welten“ der Kultur und der automobilen Sammlerstücke auch aktiv mitgestalten will….
Mit handwerklicher Fertigkeit gegen „drohende Verfälschungen“
Wie ist in Ihrem Beruf das Verhältnis von Handwerk und Kreativität?
Meine Kreativität besteht darin, immer neue Fragen und Probleme möglichst ideal und mit unverstellter Herangehensweise zu lösen („Rezeptdenken“ funktioniert überhaupt nicht bei den immer verschiedenen Ausgangspunkten, die die Fahrzeuge und ihre Besitzer mitbringen, – gerade wenn sie die historische Substanz und die damit verbundenen unterschiedlichen Materialzustände so weit wie möglich erhalten wollen). Darin sehr ich meine Kreativität, ansonsten geht es ja in meinem Beruf sehr darum, „nichts zu erfinden“ sondern genau zu verstehen und zu bewahren was der ursprüngliche Hersteller geplant und gebaut und die Geschichte geformt hat. Damit kann ich aber gut leben und empfinde dieses „Zurücknehmen“ auch als eine wichtige Verantwortung des Restaurators gegenüber einer sonst drohenden Verfälschung.
Foto: © https://omnia-online.jimdo.com/
Restauration historischer Fahrzeuge geht nur mit Demut…
Können Sie mir bitte den Begriff „Handwerk“ definieren – ganz subjektiv, auf Sie und Ihre Arbeit bezogen?
Bei meiner Arbeit geht es immer darum, möglichst individuelle Lösungen für die Wagen und auch die Besitzer zu finden. Dabei kommt es einerseits darauf an, kreative Lösungen zu finden ( – Standardlösungen funktionieren einfach nicht bei so speziellen historischen Objekten und auch nicht für die so unterschiedlichen Wünsche und Perspektiven ihrer Besitzer), andererseits aber auch immer um Verantwortung und Augenmaß. Immerhin vertrauen die Eigner mir ihre „emotionalen Schätze“, aber auch ganz reale Werte an! Außerdem bringe ich eine Herangehensweise mit, bei der ich mich immer fest an dem orientiere, was das Fahrzeug und dessen Geschichte mitbringen. Natürlich könnte man leicht „handwerklich“ alle möglichen Dinge an den Wagen „besser machen“ als sie je waren. Etwa die im Lauf der Zeit vom Moment der Herstellung an bis heute unterschiedlichen Spaltmaße der Türen begradigen. Oder einen viel glänzenderen Lack auftragen, Dinge polieren, die nie poliert waren und so fort. Aber wie könnte ich mir anmaßen, die originalen Parameter zu verändern, die beispielsweise ein Ettore Bugatti damals für seine Fahrzeuge verwendet hat?
Das alles erfordert nicht nur hohes praktisches Können, sondern auch sowas wie Demut vor dem Original…. . Gerade diese Verbindung zwischen „Handwerk“ und „Kopfwerk“ finde ich an meinem Beruf so spannend, denn gleichzeitig würde ich verrückt werden wenn ich immer nur theoretisch (wie etwa ein Kunstgeschichtler) an die Sache herangehen sollte… aber in meinem Beruf hat alles ja auch die haptische Dimension und man „sieht direkt“ was man tut…. .
Beratung ist sehr wichtig
Wie verlaufen denn bei Ihnen die Kundengespräche – vom Auftrag bis zur Realisierung?
Etwa ein Drittel meiner Arbeit ist Beratung und auch Psychologie, – um den Rahmen des Projekts festzulegen und herauszufinden, wohin der Kunde denn genau will mit seinem Fahrzeug (- es gibt dabei immer mehr als eine Lösung). Dazu kommt oft erst einmal das Ausräumen von Dingen, die ihm vorher möglicherweise „halbgar“ erzählt worden sind, – etwa dass es Nitrolacke nicht mehr gibt oder dass sie strikt verboten sind, dass die Lederausstattung seines Wagens grundsätzlich und auf keine Fall mehr zu retten ist, – oder ähnliches. Das ist in den seltensten Fällen so schwarz-weiß zu kommunizieren und meine erste Aufgabe, noch bevor ich Hand anlege ist, den Kunden über aller tatsächlichen Möglichkeiten oder auch Grenzen zu beraten.
Wichtig: die individuelle Geschichte eines Fahrzeugs
In welchem Spannungsverhältnis steht bei Ihrer Arbeit das Handwerk zur industriellen Fertigung?
Viele der Wagen sind schon von Geburt an Einzelstücke aus fast kunsthandwerklicher Herstellung und das ist ja gerade das Faszinierende daran, auch für die Besitzer. Dafür gibt es auch heute noch kein industriellen (und eigentlich auch keine modernen, handwerklichen) Pendants. Selbst seriell gefertigte Wagen sind zu Beginn ihres „Lebens“ möglicherweise industriell gefertigte „Klone“ eines Modells vom Band gelaufen; – dadurch, dass sie aber inzwischen alle eine eigene, ganz individuelle Geschichte in sich tragen, ist dann doch jeder speziell und diese echte „historische Dimension“ lässt sich nicht kopieren, mit welcher Technik auch immer. Man kann sie nur erhalten.
Vielen Dank, Gundula Tutt!
Mehr Porträts kreativer Handwerker/innen finden Sie übrigens hier.
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