Hilde Polz hat auf ihrem Weg zur eigenen „Mode-Manufaktur München“ einen kleinen Umweg über die Architektur genommen – und ist seit 33 Jahren mit ihrem Maßschneider- und Mode-Atelier genau da angekommen, wo sie sich wohlfühlt. Um es gleich zu sagen: Sie hat auch eine fabelhafte Internetseite, mit Modeblog und tollen Fotos: https://hildepolz.de/. Bald kommt noch ein OnlineShop dazu, erst mal für Pashminaschals, und Taschen – also: Immer mal wieder reingucken!
Ihren Werdegang beschreibt sie so: „Nach mehreren Studiengängen, unter anderem Architektur, die ich aber nicht beendet habe, da es nie wirklich 100 Prozent das Richtige für mich war, habe ich mich 1984 selbständig gemacht mit Modedesign und Herstellung von Damenmode. Architektur hat mir schon sehr gut gefallen, aber ich hatte die Befürchtung, nur am Computer mit technischen Zeichnungen beschäftigt zu sein.
Der Weg zur Mode war dann nicht weit, ein Kleidungsstück ist für mich wie ein „Haus im Kleinen“. Gutes räumliches Vorstellungsvermögen hatte ich schon immer, in der Schule hatte ich Nähen, Stricken, Weben und alle sonstigen Handarbeiten gelernt und in der ModeFachschule Müller & Sohn München kam dann die Schnittkonstruktion dazu.
Da es so wahnsinnig schwierig ist, in der Branche einen Job zu finden, und man sowieso meistens nicht frei kreieren darf, habe ich mich gleich mit 24 Jahren selbständig gemacht. Das war natürlich nicht einfach und ich habe viele Aufs und Abs erlebt in den 33 Jahren, die ich jetzt selbstständig bin. Oft habe ich mein Konzept überdacht und neu ausgerichtet. So wie es jetzt ist, fühle ich mich sehr wohl damit.“
Foto: © https://hildepolz.de
Der Weg zum Traum-Kleidungsstück
Frau Polz, wie geht das eigentlich konkret vor sich, der Kauf eines individuellen Kleidungsstücks aus Ihrem Atelier? Das ist ja ein aufregender Prozess – was geschieht da?
„Ich schaue mir die Frau genau an, Figur, Hauttyp, Augen, Haare, dann spreche ich mit ihr, meistens bei einer Tasse Capuchino, und lasse mir erzählen, was sie gerne hätte, für welchen Anlass, welche Anforderungen sie an das Kleidungsstück hat, welche Farbe, das Material, Modell und so weiter.. Dann versuche ich, aus unseren Modellen die für sie passenden Kleidungsstücke auszusuchen, hole Stoffe aus dem Lager und gemeinsam beginnen wir, ihr Kleidungsstück zu kreieren. Natürlich können wir nicht immer alle Wünsche erfüllen, da gibt es leider Grenzen, die in der Realität manchen Kleider-Träumen im Weg stehen. Zum Beispiel, dass einfach nicht alle Stoffe waschbar sind, oder eine bestimmte Farbe im Traum-Material nicht erhältlich ist, der Lieblings-Stoff nicht optimal fällt… Nachdem die notwendigen Entscheidungen getroffen sind, vermesse ich die Kundin, zwei bis drei Wochen später kommt sie zur Anprobe wieder. Das Kleid ist zwar schon komplett fertig genäht, wir machen eine Paßformanprobe, und wenn die Kundin dann noch Änderungswünsche hat, führen wir die natürlich aus. Ich hab zu all meinen Kundinnen einen ganz besonderen Bezug, man kommt sich ja sehr nah in diesem ganzen Prozess, sowohl körperlich als auch seelisch. Die meisten Kundinnen kommen seit Jahren, da bekomme ich auch viel von deren Leben mit.“
Foto: © https://hildepolz.de
Kreativität und Arbeit
Welchen Stellenwert hat denn die Kreativität in Ihrer Arbeit?
„Ich kann schon sehr kreativ sein, da ich viele Modelle mache, einfach nur zum Anschauen für mein Atelier, so wie sie mir gefallen. Die helfen dann als Vorlagen meinen Kundinnen bei der „Entscheidungsfindung“. Manchmal probieren wir in unsrem Team auch einfach Sachen aus und ich denke gar nicht darüber nach, ob ich sie verkaufen kann, möchte einfach nur gern wissen wie´s aussieht. Das ist natürlich richtig viel Arbeit – es ist ja alles Handarbeit. Der kreative Anteil all meiner Arbeit liegt etwa bei 30 Prozent. Aber man kann ja auch nicht immer kreativ sein, ich finde Abwechslung gut und auch förderlich. Ich gestalte ja zum Beispiel auch meine Werbung selber, Internet, Facebook und Sonstiges, was ja auch sehr kreativ sein kann.“
Was lieben Sie an Ihrer Arbeit?
„Ich liebe es immer wieder, neue Stoffe auszusuchen und zu überlegen was die beste Form für dieses Material ist, wie er am besten zu Geltung kommt. Es ist immer wieder neu und herausfordernd und ich habe das Gefühl, dass ich kein Jahr an Erfahrung missen möchte. Im Gegenteil: Bei uns lernt man nie aus.“
Problemfeld textile Massenproduktion
Für fast alle handwerklich gefertigten Produkte gibt es ja heute industriell/serienmäßig gefertigte Pendants. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Ihren Produkten und Produktions-Wegen und den nicht-handwerklichen Fertigungen?
„Die Massenproduktion an Textilien ist ein großes Problem für uns. Es wird so unwahrscheinlich billig produziert, dass Kunden das Preis-Leistungsverhältnis gar nicht mehr richtig einschätzen können. Deshalb kommt ihnen alles aus handwerklicher Fertigung sehr teuer vor, obwohl wir nur mit niedrigsten Löhnen kalkulieren. Im Bezug auf die Umweltbelastungen sind die vielen Transporte und Kilometer, die ein industriell gefertigtes Kleidungsstück heute hinter sich bringen muss, schlicht eine Katastrophe. Man sagt, dass ein Kleidungsstück einmal um die Welt reist, bevor es beim Kunden ankommt. Die Kosten hierfür zahlen die späteren Generationen. Dann auch noch zu allem Überfluß die ganze Überproduktion! Es wird so vieles weggeworfen und die Haltbarkeit von Kleidung ist viel zu kurz. Früher hat man Kleidungsstücke ein Leben lang getragen, heute oftmals nur zwei bis drei Monate. Ich habe Kundinnen, die manche Modelle nach 20 Jahren noch tragen und sich einfach nicht trennen können, weil die Kleidung noch in sehr gutem Zustand ist, ihnen noch immer gefällt – und sehr zeitlos ist.“
Von Wertschätzung und Zukunft
Finden Sie, dass es im Deutschland von heute noch genügend handwerkliche Angebote gibt?
„In unserer Branche gibt es fast keine Job- und Ausbildungs-Angebote mehr, es ist in den letzten zehn Jahren so vieles aufgegeben worden. Auch ich werde oft gefragt, ob eine meiner zwei Töchter mal das Atelier übernehmen möchte.. aber ich kann es ihnen nicht raten. Da muss man mit ganzer Leidenschaft dabei sein – für wenig Lohn… Trotzdem liebe ich meine Arbeit!“
Und zum Schluss: Was wünschen Sie sich?
„Mein größter Wunsch ist, dass Frauen wieder mehr auf Qualität, Langlebigkeit und Individualität achten, dass gute Kleidung wieder mehr geschätzt wird.“
Vielen Dank, Hilde Polz!
Mehr Porträts kreativer Handwerker/innen finden Sie übrigens hier.
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